Kurzinterview: Drei Fragen an Prof. Dr. Mark Schweda In unserer Kurzinterview-Reihe „Drei Fragen an..“ stellen wir Ihnen neue Mitglieder des OFFIS e. V. sowie ihre jeweiligen Fachgebiete vor. Den Anfang macht der Leiter der Abteilung für Ethik in der Medizin an der Carl von Ossietzky Universität Oldenburg, Prof. Dr. Mark Schweda, der seit Ende Juni 2021 Mitglied des OFFIS e. V. ist.

10.08.2021Aktuelles

Prof. Dr. Mark Schweda © M. Merkel

Prof. Dr. Mark Schweda ist seit Dezember 2018 Leiter der Abteilung für Ethik in der Medizin an der Carl von Ossietzky Universität Oldenburg. Zuvor war er als Wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Ethik und Geschichte der Medizin der Universitätsmedizin Göttingen tätig, an der er sich 2015 auch habilitierte. Weitere Meilensteine seiner akademischen Laufbahn waren eine Junior Research Fellowship am Lichtenberg-Kolleg Göttingen sowie Forschungsaufenthalte an der University of California, Berkeley, der San Francisco State University (beides USA) und der University of Lancaster (England).

 

Herr Prof. Dr. Schweda, wären Sie so gut, uns die Schwerpunkte Ihrer Forschung und Lehre an der Universität Oldenburg einmal in wenigen Worten zusammenzufassen?

An der Abteilung für Ethik in der Medizin befassen wir uns in Forschung und Lehre mit ethischen Aspekten von Medizin, Pflege und Gesundheitsversorgung. Da geht es etwa um die moralischen Grundsätze ärztlichen Denkens und Handelns, um die gerechte Gestaltung unseres Gesundheitswesens oder um die gesellschaftlichen Chancen und Risiken des medizinisch-technischen Fortschritts. Ein wichtiger Schwerpunkt meiner Arbeit liegt auf Fragen des Alterns. Diese Thematik gewinnt im Zuge des demographischen Wandels zunehmend an Bedeutung. Dabei beschäftigt mich insbesondere, wie Medizin, Pflege und Technik unser Bild des Alters und unseren Umgang mit dem Altern und mit älteren Menschen prägen. Früher war die Haltung verbreitet, dass die mit dem Alter zunehmenden Belastungen und Beeinträchtigungen einfach unvermeidlich und unaufhaltsam sind und man nichts dagegen tun kann. Heute werden dagegen mehr und mehr medizinische und technische Maßnahmen entwickelt und zum Einsatz gebracht, um diese unerwünschten Begleiterscheinungen des Älterwerdens zu vermeiden oder zu bekämpfen. Das ist einerseits gut, weil man erkennt, dass auch im höheren Alter noch allerhand möglich ist, um Lebensqualität und Funktions- bzw. Leistungsfähigkeit wiederherzustellen, zu erhalten oder gar zu steigern. Es kann aber auf der anderen Seite auch dazu führen, dass der Alterungsprozess selbst als eine Art Krankheit angesehen wird und das höhere Lebensalter als ein defizitärer Zustand erscheint, der der medizinischen Behandlung oder technischen Korrektur bedarf. Vor diesem Hintergrund müssen wir uns heute neu darüber verständigen, was es überhaupt bedeutet, alt zu werden und zu sein, und welche Rolle Medizin und Technologie dabei spielen sollen.

 

Welche Aspekte Ihrer akademischen Laufbahn haben Sie dazu bewogen, sich auf Ethik in der Medizin zu spezialisieren?

Das waren keineswegs nur akademische Einflüsse. Ich wusste letztlich immer schon, dass ich Philosophie studieren will. Das war für mich das Größte. Allerdings habe ich auch früh bereits Erfahrungen mit Medizin und Pflege gesammelt, die mich nicht mehr losgelassen haben, etwa im Rahmen meines Zivildienstes. Und dann habe ich tatsächlich noch während meines Studiums den Weg in die Medizinethik eingeschlagen, die in gewisser Weise beides zu verbinden erlaubt. Damals kamen große, auch öffentlich und politisch geführte ethische Auseinandersetzungen auf, etwa um Gentechnologie und Stammzellforschung. Im Zuge dessen wurde am Max-Delbrück-Centrum für Molekulare Medizin in Berlin-Buch eine Arbeitsgruppe für Bioethik und Wissenschaftskommunikation gegründet. Dort habe ich zunächst einen studentischen Job bekommen und bin so aus der reinen, akademischen Philosophie sozusagen in die angewandte Ethik hineingerutscht. Und dann habe ich schnell festgestellt, dass es hier um philosophisch überaus spannende und bedeutsame Fragen geht, manchmal im wahrsten Sinne um Leben und Tod. Außerdem geht es um Probleme, die gesellschaftlich zunehmend wichtig werden und auch eine breitere Öffentlichkeit interessieren. Denken Sie nur an die schwierigen Entscheidungen, die wir in den zurückliegenden anderthalb Jahren im Zuge der COVID-19-Pandemie zu erörtern hatten, oder an die komplizierten Fragen, die der Einzug von Big Data, künstlicher Intelligenz und smarten Assistenztechnologien in Medizin und Gesundheitswesen aufwirft.

 

Inwiefern werden sich ethische Aspekte der Medizin gerade in Hinblick auf die Digitalisierung des Gesundheitssystems in Zukunft verändern? Wagen Sie eine Prognose?

Die digitale Transformation im Bereich von Medizin und Gesundheitswesen eröffnet großartige Möglichkeiten, wirft aber zugleich auch grundlegende ethische Fragen auf. Entscheidend scheint mir vor allem ein Punkt zu sein: Inwieweit können digitale Technologien Ärztinnen und Ärzte sowie Pflegende dazu befähigen, ihre Aufgaben besser auszuüben und ihrer professionellen Verantwortung besser gerecht zu werden? Und wo fordern sie möglicherweise wesentliche Grundsätze ärztlicher und pflegerischer Berufsausübung heraus? Können digitale Technologien etwa helfen, das Selbstbestimmungsrecht von Patientinnen und Patienten zu stärken, indem sie ihnen z. B. mehr Mitsprache bei ihrer Gesundheitsversorgung verschaffen und ihnen ein selbstbestimmteres Leben ermöglichen? Oder tragen sie am Ende eher zu ihrer Bevormundung bei, indem sie ihnen die Kontrolle über ihre Daten und ihre eigene Lebensführung mehr und mehr entziehen? Können sie helfen, das Wohlergehen von Patientinnen und Patienten zu fördern, indem sie etwa Diagnosen präziser und Behandlungen effektiver machen? Oder erweisen sie sich am Ende als so störanfällig, dass erheblicher Schaden droht, etwa durch falsche Diagnosen oder technische Fehlfunktionen? Können sie durch eine Steigerung der Kosteneffizienz des Gesundheitssystems dazu beitragen, Ressourcen freizusetzen und den Zugang zur Gesundheitsversorgung gerechter zu gestalten? Oder gehen sie mit einer verstärkten Ungleichbehandlung oder gar Ausgrenzung einher? Mit solchen Fragen werden wir uns in Zukunft noch eingehender auseinanderzusetzen haben. Die Medizinethik kann dabei einen wichtigen Beitrag zu einer vernünftigen Verständigung leisten. Sie kann uns helfen zu verstehen, welche moralischen Werte und Normen hier für uns als Individuen wie als Gesellschaft letztlich im Spiel sind oder gar auf dem Spiel stehen.

Herr Prof. Dr. Schweda, wir danken Ihnen für das Gespräch.

 

Weitere Informationen zur Abteilung "Ethik in der Medizin" der Universiät Oldenburg:

https://uol.de/medizinethik